Der Leiermann vom Ahringsbach
Rings um das prächtige, 1250 Jahre alte Moseldorf Enkirch ergießen sich vier Bachläufe in die Mosel: Monteneubel, Großbach, Karigbach und Ahringsbach. Der landschaftlich reizvollste ist der Ahringsbach, in dessen Tal man heute noch seltenen Blumen begegnet: dem gelben Buschwindröschen, der hellgelben Bergaurikel und der Orchidee Waldvöglein, an deren Stängel weiße, duftende Pantöffelchen hängen.
In diesem Bachtal gruben schon die Römer vor zweitausend Jahren nach Silber, die Eingangsschächte der Gruben findet man auch heute noch an vielen Stellen. In der Neuzeit wurde in der Grube "Gondenau" Bleierz abgebaut. An dieser führt der Leiermannspfad vorbei, dessen Namen der alte Einloft, Besitzer der Schollmunderhofes, im Jahre 1921 Frau Waltraud Hoffmann-Roetzel auf folgende Weise erklärt hat:
Vor zwei- oder dreihundert Jahren gab es in den Moseldörfern noch keine Musikkapellen, die bei Festen und Feiern, zu Kindtaufe, Hochzeit oder Kirmes aufspielten. Das besorgte einstmals die Leier, eine Art Geige, die mit einer Drehkurbel zum Klingen gebracht und zugleich an den Seiten gezupft wurde.
Auch in Enkirch wohnte ein Leiermann, der vorzeiten einmal spätabends von einer Hochzeitsfeier heimkehrte. Er benutzte jenen steilen Bergpfad, der heute den Namen Leiermannspfad trägt. Plötzlich vernahm er ein seltsames Brummen und Grunzen und blieb wie angewurzelt stehen. Da gewahrte er in geringer Entfernung einen riesengroßen Bären. Flink wie ein Eichhörnchen kletterte der Leiermann auf einen Baum, denn schon kam der Bär mit mächtigen Sätzen herbeigerannt. Mit unablässigem Gebrumm tollte das mächtige Tier rings um den Baum, stieß die Nase an die Rinde und hob die Tatze mit langen, scharfen Krallen bedrohlich am Stamm empor. Die dichten Äste aber hinderten das Untier am Erklettern des Baumes.
Eine Zeitlang saß der Leiermann steif und starr vor Angst im Astwerk und blickte auf das brummende Ungetüm herab. Als er sich endlich ein wenig von seinem Schreck erholt hatte, begann er auf der Leier zu spielen. Aber alle Musik war umsonst; der Bär wich nicht von der Stelle, sondern setzte sich aufs breite Hinterteil und tollte ein ums andere Mal brummend um den Baum herum.
So spielte der Leiermann die ganze Nacht hindurch. Einerseits machte er sich auf diese Weise selber Mut, zum anderen wirkten die lieblichen Töne beschwichtigend auf das rastlose Tier. Ja, erst im Morgengrauen verschwand der Dickpelz im Wald, denn er fürchtete den hellen Tag. Hurtig kletterte der Leiermann von seinem ungemütlichen Nachtlager herab und rannte, so schnell ihn die Beine davontrugen, nach Enkirch.
Heute wird der überwucherte Leiermannspfad von Einheimischen kaum noch genutzt, da weitaus bequemere Wege durchs Ahringsbachtal führen.
Quelle:
"Ritter, Räuber und Heilige" Sagen von der Mosel, Eifel und Hunsrück, jetzt
" Geister, Grafen und Ganoven" Sagen, Legenden, Geschichten aus dem Moselland von Reinhold Wagner
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